Pandora
Dass an der steilen Wandflucht der Pordoi Westwand fortwährend beeindruckende Eisformationen entstehen, war uns schon vor einigen Jahren immer wieder aufgefallen. Unser Freund und Bergführerkollege Isidor Poppeler kontaktierte uns Anfang Dezember und schwärmte von einer schier unglaublichen Eis Spur im oberen Teil der Wand, die sich leicht links der bekannten Niagara – Führe gebildet haben soll. Uns war von Anfang an klar, dass es sich dabei sicherlich um eine außergewöhnliche steile und anspruchsvolle Eiskletterei handeln wird. Darüber hinaus kamen Ausgesetztheit, Länge und Logistik dazu, die das ganze Vorhaben zusätzlich erschweren sollten. Es war uns allerdings zeitlich nicht möglich uns zu verabreden und sofort das Projekt zu starten. Auf diese Weise verstrichen die ersten Dezembertage und wir konnten schließlich am 10.12. das erste Mal in die Westwand einsteigen.
In erster Linie wollten wir uns an diesem Tag eine Übersicht verschaffen, die Bedingungen testen und eine mögliche, und insbesondere logische Linie auskundschaften. Im Mittelpunkt unseres Projektes stand stets das eindrucksvolle Eisgebilde, das sich schätzungsweise 450m über den Boden gebildet hatte. Bereits beim Zustieg entdeckten wir eine Seilschaft, die augenscheinlich denselben Plan hatte. Speziell bei den herrschenden Temperaturen und Wetterverhältnisse an diesem Tag waren wir ziemlich verwundert. Ein scharfer, kräftiger Nordwind ließ die ohne hin schon tiefe Temperaturen um vieles kälter wirken. Trotzdem stiegen wir wie geplant die ersten Seillängen hoch. Beim Hochblicken zum Eisgebilde realisierten wir sofort, dass es überaus anspruchsvoll werden wird. Ob wir nun als erste oder zweite Seilschaft die Eisformation bzw. die Route klettern, war für uns in diesem Moment unbedeutend. Da wir diesen 10.12 als Erkundungstag einer möglichen Route wählten, hatten wir weder Biwakier Material noch ausreichend Verpflegung dabei. Nach knappen 150m fixierten wir unsere Seile und seilten uns ab. Kurz darauf seilte auch die andere Seilschaft ab. Unser Vorhaben war es nun in den nächsten Tagen nochmals einzusteigen und die Route fertig zu klettern. Wie bereits erwähnt legten wir dabei unseren Fokus auf die ca. 150m steilen Meter im oberen Teil, die entlang dieser imposanten Eis Figur führen sollten.
Einige Tage verstrichen und wir stiegen am 16.12 erneut in die Wand ein. Nach ausgiebigen Wandstudium und sorgsamen Zusammenstellen unserer Ausrüstung waren wir für unser Vorhaben gewappnet, die Wand in einem Push zu durchsteigen. Gerüstet für zwei Tage stiegen wir wiederum in die Wand ein. Nochmalig war uns klar, dass vielleicht jemand in der Route sein könnte. Aber wie bereits gesagt, war es unser Vorsatz den Eisfall so logisch wie möglich zu erreichen um diesen dann zu klettern, egal ob als Erstbegehung oder Wiederholung. Um diesen stielen Eisfall zu erreichen, bastelten wir uns schon im Kopf eine mögliche kombinierte Linie zwischen der „Abram-“ und der „Niagararoute“ zusammen. Leichter Schneefall und leichte Minustemperaturen waren kein nennenswertes Problem. Im Vergleich zum ersten Mal waren die Bedingungen sogar beinahe angenehm. Die ersten 150m stiegen wir über unsere fixierten Seile auf. Die Schwierigkeiten im ersten Teil erreichen ca. den 4. Grad, wobei man beachten sollte, dass dieser Abschnitt reichlich Schnee bedeckt und nicht zu unterschätzen ist. Am Umkehrpunkt angelangt, ruhten wir uns nur kurz aus und kletterten schließlich zwei weitere Seillängen. Den erreichten Absatz hätten wir eigentlich als Biwak Platz nutzen wollen. Doch derselbe entpuppte sich als schmaler und heikler als ursprünglich angenommen. Wir entschlossen uns, weiter zu klettern, und womöglich sogar im Stirnlampenlicht einen Biwak Platz finden zu müssen. Um zur logischen Rampe zu gelangen, die uns Richtung „Niagara Führe“ leiten sollte, seilten wir uns an einem Fels Kopf 20 Meter ab. An diesem Kopf befand sich bereits eine Schlinge mit einem Karabiner. An der Rampe angelangt, ging es auf logischen Weg zunächst Richtung „Niagararoute“ und schlussendlich zum Eisfall, unserem Hauptziel. Wie man im Kletterjargon zu sagen pflegt, löste sich alles erstaunlich logisch auf. Weiter ging es diagonal zu einer auffallenden Verschneidung. Im Anschluss daran kletterten wir einen Rechtsbogen und streiften dabei stellenweise die Route „Dornröschen“. Trotz der eindrucksvollen Felsqualität gestaltete sich das Höhersteigen entlang dem mit Schnee bedeckten Felsen sehr heikel und abschnittweise kritisch. Doch Motivation und unser Wille die letzten Meter bis zum Band, dem möglichen Biwak Platz, zu schaffen, waren bemerkenswert. Das Zusammenspiel von Kletterei und Logistik, damit ist größtenteils das Hochziehen des schweren Biwak Materials gemeint, schien außergewöhnlich gut zu laufen. Voller Freude konnten wir letztendlich das ausgeprägte Band unter dem spektakulären Eisgebilde erreichen. Ebenda konnten wir ein relativ entspanntes Biwak einrichten. Wir bereiteten uns so gut wie möglich für die bevorstehende Nacht vor und ließen die geschafften Klettermeter gedanklich nochmals Revue passieren. Obwohl wir mit dem Geschafften am ersten Tag mehr als zufrieden waren, drängten sich auch Zweifel auf. Zweifel darüber ob die Kletterei entlang des steilen Eisfalles überhaupt möglich und einigermaßen absicherbar sein wird.
Am zweiten Tag machten wir uns bereits um 6 Uhr fertig und waren kurz danach bereit, die Route entlang der Eisformation zu vollenden. Wir standen nun genau an dem Ort, von dem wir schon Tage vorher schwärmten. Am Fuße eines gewaltigen Eisfalles, der hinsichtlich Ausgesetztheit, Struktur und Ambiente alles zu übertreffen schien, was wir in unseren heimatlichen Bergen jemals zu Gesicht bekamen. Wir fanden einen erstaunlich guten Weg vom Felsen in das senkrechte Eisgebilde. Die Kletterei gestaltete sich ausgesprochen anspruchsvoll. Insbesondere die ersten beiden Seillängen im Eis waren überaus steil und die Kletterei ebenso ernst wie schwierig. Wir realisierten allerdings rasch, dass wir die Gunst diesen einmaligen Eisfall klettern zu dürfen, nutzen sollten. Wahrscheinlich hatte der Niederschlagsreiche Herbst dazu geführt, dass sich dieses Jahr das Eis so auffallend groß entwickeln konnte. Die Perfektion des Eisfalles ist schwierig zu beschreiben. Das Klettern in dieser schrillen Umgebung und das Wissen, dass wir es schaffen werden, vermischten sich zu einer fast verrückten Atmosphäre. Die darauffolgenden Längen im Eis waren geprägt von toller Kletterei, die uns großen Genuss bereitete. Die Bedingungen hätten kaum besser sein können. Nach sechs Seillängen im Eis erreichten wir am späten Nachmittag um 4 Uhr das Ende des Eisfalles. Unser Projekt war geschafft. Dort angekommen umarmten wir uns voller Genugtuung und Freude darüber, dass wir dieses einzigartige Geschenk der Natur klettern und auf diesem Wege annehmen konnten. Kurze Zeit später starteten wir das Abseilmanöver, das nochmals drei Stunden dauern sollte.
Um 7 Uhr abends hatten wir schließlich wieder festen Boden unter den Füßen und konnten im Stirnlampenlicht voller Zufriedenheit Richtung Auto mit unseren Skiern abfahren. Insgesamt war es eine mehr als abenteuerliche Aktion in einer wilden alpinen Umgebung. Die faszinierende und perfekte Eisformation und die fantastische Kletterei, die sie bieten konnte, wird uns noch sehr lange in Erinnerung bleiben. Ein wahres Präsent der Natur, das uns sehr viel Freude und Glück bescheren konnte. Pandora – für uns beide ist die Route buchstäblich ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk 🙂
Route: „Pandora“
Erstbegeher: Simon Gietl und Vittorio Messini
Erstbegehung: Dezember 2019
Schwierigkeit: 5, M5, A0, WI6 (600m)
Das Topo zum downloaden gibt’s hier