Am 13. Juni ging es zusammen mit Roger Schäli, Friedrich Maderer und Frank Kretschmann nach Peru, wo Roger und ich glück hatten eine neue Route am La esfinge (5325 m) zu eröffnen.
Nachdem wir die Route “Cruz del sur” geklettert waren, fiel uns am rechten Teil des “La Esfinge” eine Linie, welche sich zwischen zwei markanten Verschneidungen gerade hoch zieht, auf. Von unseren Standpunkt aus sah ich einen feinen Haarriss, der vielleicht mit viel Glück kletterbar sein würde und so kam es, daß wir uns zwei Tage später an die “Arbeit” machten.
Roger klettere die ersten 40 Meter hoch bis er den ersten Standplatz einrichtete. Mit dem Rucksack auf dem Rücken, der mit Klettermaterial und Proviant gefüllt war, stieg ich zu ihm hoch.
Eine offensichtliche Verschneidung gab uns den weiteren Weg vor. Nach circa 15 Metern seilte Roger ab und übergab mir die Führung. Teils technisch, teils frei kletterte ich die vom Roger anfänglich bereits erkletterte Verschneidung, die weiter oben zu einen feinen Riss wird, höher bis ein kleiner Absatz kam, der sich als Ende dieser Länge anbot.
Da es unser Ziel war eine “Frei-Klettertour” zu hinterlassen, versuchte Roger sofort im Nachstieg alle Kletterzüge zu machen, was ihm schlussendlich auch mit etwas Mühe gelang. Als er zu mir aufgeschlossen hatte, schauten wir beide nach oben und erkannten, dass sich der Riss verläuft und sich erst wieder 30 Meter weiter oben bildet. Wir fixierten unser Statik-Seil, welches bis zum Boden reichte, und begannen abzuseilen um am Tag darauf unser Glück in der Platte zu versuchen.
Am Tag darauf kletterte Roger die zweite Länge “Rotpunkt”. So hingen wir wieder unter der abdrängenden Platte. Bereits am Vortag war uns klar, dass diese Seillänge für uns ohne Bohrhaken nicht machbar sei. Wir wollten jedoch das Minimum an Bohrhaken verwenden. Es war für mich eine neue Herausforderung in einer solchen geschlossenen Mauer aus Granit der Erste zu sein, der sie klettern durfte, und so wollte ich die Führung nicht abgeben.
Nach drei Metern legte ich einen bombenfesten Friend, der mir die Sicherheit gab, bei einem möglichen Sturz nicht gänzlich in den Stand zu fallen. Leicht linkshaltend ging‘s vorsichtig weiter bis zu einer kleinen ausgeprägten seichten Mulde, wo ich mehr schlecht als recht eine Absicherung anbrachte. Mit mulmigem Gefühl versuchte ich den einfachsten Weg nach oben zu finden. Roger’s Zuspruch, er sichere mich gut, war ein kleiner Trost in diesem Moment. Ich suchte den Fels rechts und links von mir genau auf eine Stelle zum Haken schlagen ab. Eine feine Grasspur lies mich noch weiterhin hoffen, eine geeigneten Platz gefunden zu haben. Nach zwei bis drei Hammerschlägen auf den Kopf vom schwarzen Messerhaken, der nur ein stumpfes Geräusch von sich gab, starb dann die Hoffnung jedoch sehr schnell. Auch Roger verstand, dass sich der Haken nicht schlagen lies. Ich war bereits 10 Meter über den letzten guten Friend und deshalb war uns beiden klar, dass der Moment gekommen war an dem ein Bohrhaken gesetzt werden musste. Roger amüsierte sich prächtig an seinem sicheren Stand: “Der Dolomit-Ethiker muss jetzt auch einen Bohrhaken setzen”. Etwas gestresst antwortete ich: “Roger, wenn du es mal versuchen willst, kein Problem?!“ Roger verneinte jedoch.
Über eine Reep Schnur zog ich langsam die kleine Bohrmaschine zu mir hoch und versuchte dabei meinen Körperschwerpunkt nicht zu verlagern um ein Abrutschen des „Cliff“ vom Felsen und somit einen Sturz kopfüber zu vermeiden. Als ich dann endlich die Bohrmaschine ergriff, setzte ich mit voll ausgestrecktem Arm die Spitze des Bohrers an und errichtete den ersten Zwischenspit der angefangenen Erstbegehung. Erleichtert hängte ich das Seil ein und wischte mir den Staub aus dem Gesicht.
Die bevorstehenden Meter schienen im ersten Moment nicht kletterbar zu sein. Nur bei genauem Hinschauen konnte ich feine Strukturen erkennen, die es vielleicht ermöglichen würden die abweisende rötliche Granitplatte zu klettern. Immer wieder startete ich einen Versuch, vom Bohrhaken wegzukommen – einige Male erfolglos. Ziel war es, nur noch einen weiteren Bohrhaken in dieser Länge zu setzen. War es bereits erforderlich Zwischenhakenbohren zu müssen, dann sollten diese wenigstens so weit wie möglich auseinander sein. Ausgeruht startete ich am letzten Fixpunkt einen weiteren Versuch Richtung des ersehenten Risses. Dank meinem kleinen Freund „Cliff“, der bei jeder Erstbegehung an meinen Gurt hängt, konnte ich mich nach einigen schwierigen Zügen etwas erholen. Mit jedem weiteren Zug wurde nicht nur der Abstand zum sicheren Haken, sondern auch der Respekt in die Platte zu klatschen – wie ein Regentropfen an eine Fensterscheibe – größer. Immer wieder sagte ich in Gedanken zu mir selbst: “Noch ein Stück geht”. Schließlich kam der Moment, an dem ich mir wünschte nicht dort zu hängen wo ich soeben war. Mit Hilfe eines “Peckers”, der nur mit seiner Nasenspitze in einem Haarriss steckte, versuchte ich den Bohrer zu mir hoch zu ziehen. Mit einem 15 Meter Sturz im Nacken bohrte ich das zweite Loch. Mit viel Adrenalin im Blut ging die Reise weiter nach oben. Kurz bevor die Kletterei einfacher wurde, schien mir jedoch nichts anderes, als ein Sprung in die letzte Sicherung, übrig zu bleiben. Da diese Option jedoch nicht sehr einladend war, versuchte ich mit letzter Kraft den “Cliff” an einer kleinen Leiste zu platzieren. “Buuuuuu…das war knapp”, dachte ich noch und in diesen Moment ging‘s sehr schnell und ohne Vorwarnung weiter – aber leider in die falsche Richtung!
Die Leiste brach aus und somit verlor der “Cliff” den Halt. Ich stürzte unkontrolliert in die letzte Sicherung. Beim zweiten Versuch ging es besser. Ich erreichte mit der linken Hand eine kleine aber positive Leiste, die ich mit voller Kraft zudrückte, und hoffte dabei, dass diese Leiste nicht auch wegbrechen würde. Ich setzte den rechten Fuß zur rechten Hand und zog mich dynamisch gerade hoch bis meine Finger den Anfang eines Risses berührten.
Zwei gute Friends brachten meinen Puls wieder runter. Fünf Minuten später rief ich: „Stond Roger, konnsch kem!!!“. Auch Roger konnte die Seillänge nicht gleich auf Anhieb durchsteigen, aber uns war klar, dass es mit etwas Bouldertraining möglich wäre.
Nun war Roger an der Reihe, am scharfen Ende des Seil zu sein und kletterte den Riss, der sich wie ein “S” über die Wand rauf zieht, entlang bis er nach 25 Metern einen Stand baute. Eine Seillänge führte uns durch die Route “edition”. Diese Routenwahl erschien uns für den weiteren Weg logisch. Nach dieser Seillänge wollten wir unsere Linie wieder nach rechts ziehen.
Roger riss sich die Seillänge, die mit einer “mega großen bizarren Schuppe” bestückt ist, gleich unter den Nagel und kletterte diese souverän vor. Am Stand angekommen zeigten uns zwei alte Bohrhaken und ein Klemmkeil den weiteren Weg der alten Tour, die nach links zieht. Ein feiner Riss, aus welchem teilweise etwas Gras herausragte, zeigte die Möglichkeit für den weiteren Routenverlauf auf. Roger war am Anfang nicht glücklich darüber, dass ich dort ein Weiterkommen vermutete. Nach einer kurzen Diskussion konnte er sich jedoch auch damit abfinden, dass ich die Kletterei über den beschriebenen Riss versuchen wollte. Er hatte es fast für unmöglich angesehen die nächsten 20 Meter “frei” zu klettern. Ich zog einige Meter technische Kletterei am Riss, einer aalglatten Wand mit noch mehr zu setzenden Bohrhaken vor! Als ich schlussendlich die Länge erstbegangen hatte, wusste ich, dass es sicher möglich war auch diese freizuklettern. Der Granit am La esfinge ist relativ strukturreich und so finden sich immer wieder kleine positive Leisten, die fürs Klettern wie geschaffen sind.
Im weiteren Verlauf neigt sich die Wand zurück und gleichzeitig hatten wir die Wandmitte erreicht. Weitere sieben wundervolle Seillängen folgten bis wir schließlich im Gehgelände standen und gleichzeitig am laufendem Seil 100 Meter hoch bis zum Gipfel kletterten. Das Glück zu haben, drei Mal auf dem einzigartigen Granitzahn zu stehen, erschien uns unfassbar. Und nun durften wir uns auch noch über die Besteigung über eine neue Linie freuen.
Wir gratulierten uns mit einer festen Umarmung und genossen mit vollen Zügen das Brot mit Avocado und Tunfisch, welches Simon für uns zubereitet hatte. 🙂
Fakt: jede Seillänge wurde mindestens von einem der beiden Erstbegeher (Roger oder mir) Rotpunkt geklettert, die Schlüssellänge kletterten wir beide.
Route: „Chappie“
Erstbegeher: Roger Schäli und Simon Gietl – Juli 2015
Charakter: schöne anstrengende Kletterei
Wandhöhe: 600 Meter Süd-Ost Ausrichtung
Schwierigkeit: 7b+
Absicherung: jeder Stand ist mit 2 8mm Spit ausgestattet, 9 Haken, 4 Spit und 3 Keile wurden als Zwischensicherungen belassen
Abstieg: Normalweg oder über die Tour abseilen
Das Topo zum Download gibt’s hier
Infos zur ganzen Expedition findet ihr hier